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Auch hochqualifizierte Ukrainerinnen haben Schwierigkeiten bei der Jobsuche


Ungewisse Zukunftsaussichten wegen Schutzstatus S: Auch hochqualifizierten Ukrainerinnen fällt es schwer, Arbeit zu finden

VIDEO: #Jobsuche #Ukrainerinnen #schwierig #hochqualifizierteJobsuche ist auch für hochqualifizierte Ukrain
24 Nachrichten CH

Fast ein Jahr dauerte es, bis Olena Vorobchenko in der Schweiz eine Stelle fand. Dabei hat ihr der Verein Capacity geholfen.

«Auf dem Schweizer Arbeitsmarkt läuft einiges anders als auf dem ukrainischen», erzählt Olena Vorobchenko. In der Schweiz sind die Kündigungsfristen länger, es gibt mehr Vorstellungsgespräche, und die Anforderungen an die Bewerbungsunterlagen sind höher.

«Auf dem Schweizer Arbeitsmarkt läuft einiges anders als auf dem ukrainischen», erzählt Olena Vorobchenko. In der Schweiz sind die Kündigungsfristen länger, es gibt mehr Vorstellungsgespräche, und die Anforderungen an die Bewerbungsunterlagen sind höher.

Olena Vorobchenko ist eine Frau der Tat. An dem Tag, als der Krieg die Ukraine heimsuchte, fuhr sie zusammen mit ihrem Mann in ihr Landhaus, das in einem Vorort westlich von Kiew lag. Nicht ahnend, dass dort die Russen mit ihren Panzern schon bereitstanden. Nachdem sie eine Nacht den Beschuss gehört hatte, entschied sie sich zur Flucht. Ihren Mann musste sie zurücklassen. Er darf das Land bis heute nicht verlassen. Er könnte jeden Tag in die Armee eingezogen werden.

Trotz hohen Qualifikationen keine Stelle

Vorobchenko fand Zuflucht in der Schweiz. Ihr Onkel lebt mit seiner Familie bereits seit dreissig Jahren im Kanton Zürich und hat sie eingeladen, bei ihnen zu wohnen. Vorobchenko dachte, es werde wohl nicht lange dauern, bis sie Arbeit finde und in ihre eigenen vier Wände ziehen könne.

Als sie eine Absage nach der anderen erhielt, realisierte sie, dass die Stellensuche wohl länger dauern wird als gedacht. «Ich konnte mir nicht erklären, woran es lag. In der Ukraine musste ich mich nie auf eine Stelle bewerben. Entweder wurden mir Jobs von Headhuntern oder aus meinem beruflichen Netzwerk angeboten», sagt sie. Und tatsächlich verrät ein Blick auf ihr Linkedin-Profil, dass sie hochqualifiziert ist.

Die 33-Jährige verfügt über einen Masterabschluss in Ökonomie, spricht fliessend Deutsch und Englisch und hatte Führungspositionen in der Ukraine und New York inne. Ihr Lebenslauf ist mustergültig – keine Lücken, keine Ungereimtheiten, nicht einmal Ausflüge in eine andere Branche hat sich Vorobchenko erlaubt. Seit über zehn Jahren ist sie als Online-Marketing-Spezialistin tätig. Diese Fachkräfte sind in der Schweiz gesucht.

Schneller Zugang

Erst als sie im Juni mit Vertretern des Vereins Capacity sprach, wurde ihr allmählich klar, weshalb ihre Stellensuche bis anhin erfolglos blieb. Nicht ihre Qualifikationen waren das Problem, sondern das fehlende Wissen über die Funktionsweise des Schweizer Arbeitsmarktes.

Eine Gruppe von Einheimischen und Personen mit Migrationshintergrund haben diese Problematik erkannt und gründeten den Verein Capacity im Jahr 2015. Schliesslich sahen sich viele von ihnen mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert, als sie in die Schweiz kamen. Seither engagiert sich Capacity für die Integration von Personen mit Flucht- und Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt.

Im Hinblick auf hochqualifizierte Schutzsuchende aus der Ukraine wurde das Programm «Access Fast Track» ins Leben gerufen. Denn im Unterschied zu Flüchtlingen aus anderen Ländern ist es Ukrainerinnen und Ukrainern dank dem Schutzstatus S möglich, in der Schweiz zu arbeiten. Das Programm steht aber auch anderen Personen mit Flucht- und Migrationshintergrund mit Arbeitsbewilligung offen.

Caterina Meier-Pfister, Verantwortliche Kommunikation und Partnerschaften bei Capacity.

Caterina Meier-Pfister, Verantwortliche Kommunikation und Partnerschaften bei Capacity.

Caterina Meier-Pfister, Verantwortliche Kommunikation und Partnerschaften bei Capacity, sagt: «Auch für Stellensuchende mit Flucht- und Migrationshintergrund ist es wichtig, eine Arbeit zu finden, die ihren Qualifikationen entspricht. In einem fremden Land, in dem man den Arbeitsmarkt nicht kennt und kein Netzwerk hat, ist das eine Herausforderung.» Die bestehenden Angebote wie zum Beispiel die Regionale Arbeitsvermittlung (RAV) sind häufig nicht auf diese Bedürfnisse ausgerichtet. Zwar zeigen die RAV-Berater den Jobsuchenden, auf welchen Plattformen sie Stellenausschreibungen finden. Flüchtlinge benötigen aber eine gezieltere Begleitung. Hinzu kommt, dass in der Schweiz 60 bis 70 Prozent aller Stellen nicht ausgeschrieben werden. Ähnlich wie in der Ukraine werden also auch in der Schweiz viele Stellen über das eigene Netzwerk vergeben.

Zögerliche Unternehmen

Hinzu kommt, dass der Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge Fluch und Segen zugleich ist. Einerseits haben sie damit sofortigen Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt. Andererseits zögern viele Unternehmen, Personen mit Schutzstatus S einzustellen, da er rückkehrorientiert ist. Der Bund wird den Status also aufheben, sobald sich die Sicherheitslage in der Ukraine stabilisiert hat. «Viele Unternehmen überlegen sich, ob es sich lohnt, Zeit und Aufwand in die Einarbeitung von Personen zu investieren, die bei Kriegsende wieder in die Heimat zurückkehren müssen», sagt Meier-Pfister. Laut einer Umfrage des Staatssekretariats für Migration (SEM) vom Herbst 2022 haben erst 15 Prozent der Flüchtlinge Arbeit gefunden.

Sobald der Schutzstatus S wegfällt, müssen Unternehmen beweisen, dass sie für die Stelle niemanden aus der Schweiz oder aus dem Schengenraum gefunden haben. Falls sie das nicht können, müssen sie das Arbeitsverhältnis auflösen. Denn zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht geklärt, ob sich ukrainische Flüchtlinge nach Aufhebung des Schutzstatus S für eine Aufenthaltsbewilligung B bewerben können.

Strategien für die Arbeitssuche

Das «Access Fast Track»-Programm dauert zwei Monate. In dieser Zeit werden drei halbtägige Workshops und Networking-Anlässe durchgeführt. Parallel dazu stellt Capacity den Flüchtlingen einen Coach zur Seite. Die meisten Coachs arbeiten bei der UBS, der CS oder beim Pharmakonzern Johnson & Johnson. Diese drei Unternehmen unterstützen Capacity auch finanziell.

Voraussetzung für die Teilnahme sind ein Hochschulabschluss auf Bachelorstufe, mindestens drei Jahre Arbeitserfahrung sowie Deutsch- oder Englischkenntnisse auf Niveau B2 oder höher. Zum Aufnahmeverfahren gehört auch ein Vorstellungsgespräch vor einer Jury. «Wir wollen sicher sein, dass die Kandidatinnen und Kandidaten wirklich daran interessiert sind, ihre Strategien für die Arbeitssuche zu entwickeln», sagt Meier-Pfister.

In den Workshops lernen die Teilnehmer, welche Faktoren sie bei der Stellensuche beeinflussen können und welche nicht. «Ich habe akzeptiert, dass ich keinen Einfluss darauf nehmen kann, wie lange ich in der Schweiz bleiben darf. Dafür habe ich gemerkt, dass meine Chancen auf befristete Stellen möglicherweise besser sind als bei unbefristeten», sagt Vorobchenko. Zudem habe sie aufgehört, sich ausschliesslich auf Führungspositionen zu fokussieren.

Mit Coaching und aufgefrischtem Lebenslauf zum Erfolg

Als Coach wurde Vorobchenko der Biophysiker Deividas Motekaitis zur Seite gestellt. Er stammt aus Litauen und ist vor zehn Jahren selbst in die Schweiz eingewandert. Jetzt arbeitet er auf Mandatsbasis als Projektleiter bei Johnson & Johnson. Als er vom Programm erfuhr, zögerte er nicht lange und meldete sich an. «Als Litauer hat mich die Situation in der Ukraine sehr betroffen gemacht. Auch ich bin mit der latenten Angst aufgewachsen, dass man nie weiss, ob man nicht eines Tages von Russland überfallen wird.»

Zwischen September und November vereinbarte Motekaitis mit Vorobchenko sechs Online-Meetings. Vor allem bei den Bewerbungsunterlagen erkannte er Verbesserungspotenzial. Denn in der Ukraine sind die Ansprüche an Motivationsschreiben nicht gleich hoch wie in der Schweiz. Um Diskriminierung möglichst zu vermeiden, werden Lebensläufe in der Ukraine auch nicht mit Fotos versehen. Zudem ist es nicht üblich, dass Unternehmen Arbeitszeugnisse ausstellen. In der Schweiz wird man hingegen direkt aussortiert, wenn die Zeugnisse fehlen. So musste Vorobchenko bei ihren ehemaligen Arbeitgebern zuerst Arbeitszeugnisse einholen.

Motekaitis half ihr aber nicht nur dabei, die Bewerbungsunterlagen auf Vordermann zu bringen, sondern zeigte ihr auch verschiedene Plattformen mit Jobausschreibungen und wies sie auf Networking-Anlässe und Messen hin. Einmal simulierten die beiden sogar ein Vorstellungsgespräch.

Nach fast einem Jahr Jobsuche hat Olena Vorobchenko eine Anstellung als Online-Marketing-Spezialistin bei der Agentur Dept in Zürich gefunden.

Nach fast einem Jahr Jobsuche hat Olena Vorobchenko eine Anstellung als Online-Marketing-Spezialistin bei der Agentur Dept in Zürich gefunden.

Nach über 120 Bewerbungen führen Vorobchenkos Bemühungen schliesslich zum Erfolg. Sie hatte sogar die Wahl zwischen zwei Stellen. Seit Januar arbeitet sie als Online-Marketing-Spezialistin bei der Agentur Dept in Zürich. Dass Vorobchenko in ein paar Jahren vielleicht wieder zurück in die Ukraine muss, war für die HR-Leiterin Simone Bobst kein Thema. «Für uns war Olenas fachliche Expertise ausschlaggebend. Wenn sie diese auch nur einige Jahre bei uns einbringt, ist das für uns schon von grossem Mehrwert. Denn in der Schweiz mangelt es an Fachkräften im Bereich Online Marketing», sagt Bobst.

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Author: Angelica Green

Last Updated: 1703542561

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